Ist dem so?

Meiner Meinung nach kann Agilität vom Prinzip her kein Dogma sein. Wenn sie jedoch so erscheint, liegt es meistens daran, dass die Menschen, die sie anwenden, strikt nach Buch vorgehen, ohne die Sinnhaftigkeit der Aktionen zur hinterfragen. Sie halten sich krampfhaft an das Regelwerk, ohne der Sinn verstanden zu haben. Sie ist also kein Dogma, sondern wird dogmatisch ausgelegt. Der Prozess wird bedeutender als das, was wir erreichen wollen. Man legt mehr Wert auf, WIE es vonstattengeht, anstatt sich auf das WAS zu konzentrieren. Sie sind beide wichtig, aber wenn wir aus den Augen verlieren WAS wir erreichen wollen und einzig das befolgen was andere Menschen, die mehr Ahnung vom Thema haben als wir selbst, sagen, dann bewegen wir uns im Bereich des Glaubens. Mit Agilität ist das nicht einmal annähernd verwandt.

Ein Beispiel

Ich möchte ein Beispiel vorbringen, wie dieses Dogmatismus zu Tage tritt. Scrum ist nicht die einzige agile Methode, jedoch eine der bekanntesten. Im „Scrum Guide“ steht:

Scrum’s roles, artifacts, events, and rules are immutable and although implementing only parts of Scrum is possible, the result is not Scrum.

Scrum Guide (July 2016)

Das Problem entsteht, wenn Menschen folgende Gleichung Vertrauen schenken:

Agil sein = agile Methode nutzen

Das heißt, um agil zu sein, müssen wir agile Methoden verwenden, ergo z. B. Scrum nutzen. Nach der Scrum „Bibel“ bedeutet jedwedes Ausweichen vom Protokoll, dass man den erleuchteten Pfad verlassen hat. Logische Konsequenz: Will man agil sein, muss man Scrum nach Regelwerk praktizieren.

Der Prozess wird zum Hauptdarsteller. Meiner Meinung nach, ist das die falsche Lektüre der Ideen, welche sich hinter dem Gedanken verstecken. Die blinde Einhaltung eines Prozesses hat nichts mit Agilität zu tun.

Wenn wir uns das agile Manifest anschauen, werden wir folgende zwei Sätze darin entdecken:

Responding to change over following a plan
Individuals and interactions over processes and tools

Agile Manifesto

So wie ich es interpretiere, bedeutet das eben das Gegenteil zu diesen dogmatischen Postulaten, indem wir blind einen Plan befolgen, bzw. die Reinheit des Prozesses über alles stellen sollen. Ich will damit nicht sagen, dass Scrum in seiner reinen Form nicht in Ordnung sei. Nein, es funktioniert gut. Nur nicht immer, für jedes Team, jedes Projekt und jede Gegebenheit. Ich plädiere dafür, zu akzeptieren, dass sich von der „Norm“ zu entfernen durchaus positiv, erstrebenswert und wirkungsvoll sein kann. Man kann agil sein, ohne notwendigerweise Scrum oder Kanban einzusetzen.

Unterschiedliche Unternehmen mit verschiedenen Strukturen müssen einfach anders an Agilität geführt werden. Ein Patentrezept gibt es nicht. Nutzt das, was es gibt und passt es an eure Bedürfnisse an. Genauso ist es bei Teams. Menschen sind unterschiedlich und was bei manchen funktioniert, läuft bei anderen nicht gut.

Unabhängig davon wie wir zur Agilität vorangehen möchten, muss ein Lernprozess stattfinden. Keiner von uns weiß alles und über Nacht, klappt das bei mir meistens auch nicht.

Im nächsten Mini-Blog geht es, um diese Lernprozess.

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